Fehlgeburt: Tabu Thema heute wie damals?
Ein Erfahrungsbericht über eine kleine Geburt in den späten 1970er Jahren
Als ich auf der Familienmesse „Luett un mien leev“ in Kirchlinteln meine Fotografien ausgestellt habe, habe ich dort auch Flyer von der Stiftung „Dein Sternenkind“ ausgelegt, um das Thema präsent zu machen. Es ergaben sich einige schöne Gespräche. So auch eines mit Regina. Regina stand vor meinem Stand und betrachtete meine Bilder von Familien, Wochenbetten und von Geburt. Und ich weiß noch genau: auf einmal zeigte sie auf den Flyer und sagte „So schön, dass es das heutzutage gibt. So wichtig.“ Und ich spürte sofort, dass sie aus eigener Erfahrung spricht. Wir unterhielten uns also über Sternenkindfotografie und wie die Sichtbarkeit der Sternenkinder dabei ist, sich zu ändern. Regina sagte zu mir „.. und dann diese Sätze, die werde ich nie vergessen „du bist ja noch so jung“, als ob es das besser machte.“ Ich stimmte ihr zu. Auch ich hatte diesen und ähnliche Sätze nach meiner kleinen Geburt gehört. Keiner davon machte irgendetwas besser. Im Gegenteil. Und so standen wir da, fühlten einander und verstanden einander. Eine Verbindung, mitten in dem Trubel einer Messe. Das war schon ziemlich bedeutsam.
Regina schaute sich dann noch weiter auf der Messe um und kam am Ende nochmal an meinem Stand vorbei und verabschiedete sich. Ich bedankte mich für das schöne Gespräch und wünschte ihr alles Gute. Dann ging sie hinaus. Ich zögerte nur einen winzigen Augenblick, dann lief ich ebenfalls nach draußen, hielt nach ihr Ausschau, fand sie und fragte sie, ob ich sie für meinen Blog interviewen dürfte. Sie stimmte zu.
Und so kam es, dass ich Euch heute Reginas Geschichte erzählen darf. Eine von vielen. Doch das macht sie nicht minder wichtig. Jede einzelne Geschichte zählt. Weil jedes Kind, und jede Mutter dahinter zählt. Also taucht gerne ein in einen Erfahrungsbericht einer kleinen Geburt in den späten 1970er Jahren.
“Die Diagnose: Schwanger im dritten Monat, aber das kleine Wesen wollte nicht mehr weiterleben…”
Liebe Regina, Du hast dich so liebenswerterweise bereit erklärt, Deine Geschichte mit mir, mit uns zu teilen. Danke Dir von Herzen! Magst Du ein wenig erzählen?
„Hallo Patricia, ja, natürlich. Es passiert ja leider sehr vielen schwangeren Frauen, auch beim ersten Kind! Bei mir ist es auch schon sehr lange her, 1979 war es. Es war Anfang des Jahres und einen Gyn-Termin hatte ich mir besorgt in der Vorfreude, schwanger zu sein. Da war ich mir sicher, meine Vermutung war ca. 8.-10. Woche. Damals hatte ich gerade eine neue Stelle angetreten und wollte wahrscheinlich aus dem Grund auch nicht zu schnell die Bestätigung erhalten🙈. Dann ging alles ziemlich schief. Ich hatte das Gefühl, irgendwie fing ich an, unangenehm im Intimbereich zu riechen und ich bin morgens erst zur Arbeit. Mein Chef hat dann aber mitbekommen, dass es mir nicht so besonders gut ging und hat dann auch super reagiert und mich sofort zum Krankenhaus beordert. Die Diagnose: schwanger im dritten Monat aber das kleine Wesen wollte nicht mehr weiterleben.“
Wie unglaublich traurig. Solche Vorfreude zu spüren, und dann diese Nachricht zu erhalten, muss sich so unfassbar schmerzlich angefühlt haben. Wie ging es dann für Dich, für Euch, weiter?
„Ich bin dann nach Hause, habe meine Sachen gepackt für das Krankenhaus und hatte dann am nächsten Vormittag die Entfernung. Für damalige Verhältnisse waren der Arzt und das Klinikpersonal sehr nett. Mein Arzt hatte nur gemeint, sie mussten nach dem Eingriff mit mir kämpfen, mein Blutdruck war total im Keller. Hat dann auch ein paar Tage gedauert…“
“Von meinem Freund (…) habe ich zu hören bekommen: es sollte wohl so sein!”
Wie erging es Dir anschließend? Hast Du Unterstützung erfahren, konntest Du Deinen Gefühlen und Gedanken Raum geben?
“Von meinem Freund und späteren Mann habe ich zu hören bekommen: es sollte wohl so sein. Das meinte mein Umfeld dann auch immer wieder. Mir selber ging es nicht so gut damit. Habe damals alles mit mir ausmachen müssen. Zum Tanz in den Mai bin ich dann mitgegangen, mehr oder weniger unfreiwillig und hab dann etwas zu sehr versucht, meine Gedanken in Alkohol zu ertränken. Hat mir nur sehr viel Übelkeit und Spucken eingebracht. Dafür ist dann irgendwie zu später Stunde aus mir herausgesprudelt, wie bescheiden sich das alles für mich anfühlt.”
Du musst Dich ziemlich alleingelassen gefühlt haben, das tut mir so sehr leid.
“Ja, und der Mantel des Schweigens wurde nach dem Tanz in den Mai auch schnell wieder ausgebreitet und das war es dann. Als ich dann mit meiner Tochter 1980 schwanger war, war die Angst groß und erzählt haben wir erst von der Schwangerschaft als die 12. Schwangerschaftswoche rum war. Diese und auch die nächste Schwangerschaft ist glücklicherweise soweit gut ausgegangen.”
“Für mich war dieses Wesen ein Teil von mir und kein Abfall!!!”
Gab es in all der Zeit etwas, das Dir Halt gegeben hat?
“Halt haben mir meine Kinder gegeben und Gespräche mit meiner Schwester, die ich dann nach einem Zusammenbruch hinzugezogen habe. Die Gedanken sind einfach noch oft um das eigentliche erste Kind gekreist. Damals, in der Klinik, habe ich nachgefragt, wohin dieser kleine Embryo kommt, was sie damit gemacht haben … leider war die Antwort nicht so, wie man das gerne gehabt hätte! Für mich war dieses Wesen ein Teil von mir und kein Abfall!!!”
Ich fühle das so sehr mit Dir, Regina. Auch für mich war die Vorstellung, dass der Embryo, dem wir schon längst einen Spitznamen gegeben hatten, dessen Herzschlag ich bereits gesehen und gehört hatte, im Klinikmüll entsorgt wurde, unerträglich und beschäftigt mich bis heute.
Ich weiß, dass es ein langer Weg war, nicht nur rechtlich, anzuerkennen, dass auch Fehlgeburten Geburten sind. Heute haben Eltern einen Anspruch auf Selbstbestimmung. Sie sind es, die den Wert der Schwangerschaft und der Geburt für sich definieren. Und trotzdem ist das Thema noch immer ein riesiges Tabu und über die Möglichkeiten und Angebote wird, gerade in den frühen Wochen, meiner Meinung und Erfahrung nach zu wenig informiert. Allein, dass Frauen bei einer kleinen Geburt auch Anspruch auf eine Hebammenbetreuung haben, wissen nur Wenige, wie mir meine Hebamme bestätigte.
Was ich mir für jede Frau und Familie, die eine solche Erfahrung machen muss, wünsche? Ein ehrlich gemeintes “Wie geht es Dir gerade damit?” mit Raum für ehrliche Trauer und Gedanken.
Auch gesellschaftlich ist das Thema noch nicht da, wo ich es mir wünsche. Viele, viele Frauen und Familien berichten gerade bei frühen kleinen Geburten von Äußerungen, die absolut verletzend sind. So wie auch Du, Regina, sie zu hören bekommen hast “Es sollte wohl so sein”, “Du bist ja noch jung”, “Du hast doch schon ein Kind/Kinder”, “Du wirst bestimmt schnell wieder schwanger”, “es war ja noch ganz früh”. All diese Sätze - sie entstehen vermutlich aus dem Versuch, etwas Tröstendes zu sagen. Aber das ist es nicht. Zumindest nicht für die allermeisten Betroffenen. Vielmehr negieren diese Aussagen die eigenen Gefühle. Wir sollten uns vielmehr angewöhnen, zuzuhören und nachzufragen. Was ich mir für jede Frau und Familie, die eine solche Erfahrung machen muss, wünsche? Ein ehrlich gemeintes “Wie geht es Dir gerade damit?” mit Raum für ehrliche Trauer und Gedanken.
“Ja, genau. Von dieser Warte aus gesehen sind die Sternenkinder, die du fotografierst und von denen sich die Eltern verabschieden dürfen und können, nicht zu vergleichen mit den kleinen, noch nicht so großen Wesen, auch von mir…”
Und trotzdem zählt Dein geliebtes Baby ja nicht einen Millimeter weniger. Es muss nicht verglichen werden. Jedes Leid ist Leid. Jede Trauer ist Trauer.
“Das stimmt. Es ist gut, dass es dich gibt und du den trauernden Eltern soviel Unterstützung geben kannst. Es hat sich da Gott sei Dank vieles verändert und das ist auch gut so. “
Und es darf sich noch so viel mehr ändern.
Du möchtest Deine Geschichte auch mit mir teilen und auf meinem Blog veröffentlicht wissen? Du darfst mir sehr gerne schreiben: